Die Untersuchung von Dingen und Materialität stand in der Literaturwissenschaft der letzten Jahre hoch im Kurs, von einem material turn war und ist immer mal wieder die Rede. Dabei wird zuverlässig darauf hingewiesen, dass Dinge in literarischen Texten nicht ohne weiteres als Dinge zu begreifen sind. Schließlich können sie hier in ihrer Materialität gar nicht wahrgenommen werden und bleiben in der Regel Zeichen im Gefüge des Textes.Einen aufschlussreichen Sonderfall stellen Drama und Theater dar, für die sich der material turn bisher erstaunlich wenig interessiert hat. Denn in der szenischen Realisation des dramatischen Textes werden Dinge zu Requisiten und damit materiell rezipierbar, ohne ihren Zeichencharakter allerdings unmittelbar einbüßen zu müssen. Das Spannungsverhältnis zwischen Materialität und kulturellen wie literarischen Bedeutungseinschreibungen von Requisiten steht im Zentrum der VL. Beleuchten werde ich dieses Verhältnis vornehmlich unter kulturhistorischen und gattungspoetologischen Gesichtspunkten.Zum einen hat man ein „Zeitalter der Dinge“ zu Recht erst im 19. Jahrhundert anbrechen sehen, so dass eine tendenzielle Trivialität von Objekten ab diesem Zeitpunkt verstärkt auch auf Drama und Theater durchschlagen dürfte. In diesem Kontext ist auch die Frage aufzuwerfen, ob wir heute vielleicht am Ende dieses Prozesses stehen, da die Digitalisierung einen Materialitätsschwund zu bewirken scheint, der zu einer geradezu nostalgischen Rückbesinnung auf die Dinge führt und mit dem sich die zeitgenössische Dramatik auseinandersetzt. Zum anderen hatten Dinge seit der Antike in den Gattungen der Komödie und der Tragödie insofern einen grundverschiedenen Status, als die Komödie aufgrund ihrer Alltagsnähe wesentlich requisitenaffiner war als die Tragödie. Welche Rolle spielen Dinge im historischen Prozess gerade dort, wo eine rigide Unterscheidbarkeit beider Formen zum Problem wird?
Susanne Scholz/Ulrike Vedder (Hg.): Handbuch Literatur & Materielle Kultur, Berlin/Boston 2018; Melissa Mueller: Objects as Actors: Props and the Poetics of Performance, Chicago 2016; Erika Fischer-Lichte: Semiotik des Theaters. Bd 1. Das System der theatralischen Zeichen. 4. Aufl. Tübingen 1998; Volker Klotz: Gegenstand als Gegenspieler. Widersacher auf der Bühne: Dinge, Briefe, aber auch Barbiere, Wien 2000; Peter Pütz: Die Zeit im Drama. Zur Technik dramatischer Spannung, Göttingen 1970, S. 113-125.
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