Zur Zeit ihres Erscheinens relativ unbeachtet geblieben, gilt Annette von Droste-Hülshoffs „Die Judenbuche“ (1842) heute als eine der wichtigsten deutschen Erzählungen und gehört zu den bekanntesten Schullektüren. Trotz vielen Interpretationsversuchen ist dieser komplexe Text rätselhaft geblieben. Handelt es sich um die Gattung Novelle oder um eine Frühform der Dorf- oder der Kriminalgeschichte, oder um alles zusammen? Wie sind die beiden Handlungsstränge um den Mord am Förster Brandis und am Juden Aaron (eine wahre Geschichte!) miteinander verbunden? Welche Schuld trägt die Hauptfigur Friedrich Mergel an den Verbrechen? Und auf welche Weise führt die Erzählerin die Leser*innen an der Nase herum? Am Ende bleibt vieles unklar. – Der erste Teil des Seminars widmet sich dem literarischen Text und seinen Kontexten: weiteren ‚westphälischen‘ Texten der Autorin sowie der Vorlage „Geschichte eines Algierer Sklaven“ August von Haxthausens. Der zweite Teil des Seminars, nachdem Textwissen aufgebaut wurde, dreht die Perspektive um, indem Interpretationsansätze zur „Judenbuche“ systematisch analysiert werden. Was ‚tun‘ Literaturwissenschaftler*innen konkret, wenn sie Literatur interpretieren? Unter dieser Leitfrage soll ein tieferes Verständnis der Methodenvielfalt, diverser Praktiken der Literaturwissenschaft und besonders der Erzählung selbst entwickelt werden. Neben historischen, juristischen und narratologischen Kontexten stehen im Seminar Interpretationsansätze im Vordergrund, die religionsgeschichtliche, psychoanalytische, gender- und raumtheoretische Methoden verwenden. Das SE knüpft an aktuelle literaturwissenschaftliche, praxeologisch ausgerichtete Forschungsprojekte an (ArguLit, Uni Göttingen; Schlüsselstellen in der Literatur, HU Berlin).Spezifische Semesterarbeitsleistung (unbenotet): Kurzreferat und Abstract (1.500 Zeichen inkl. Leerzeichen) zu einem der literarischen oder interpretierenden Texte.MAP nur im ersten Prüfungszeitraum, Abgabefrist Hausarbeit: 31. August 2025.
Zur Vorbereitung: Annette von Droste-Hülshoff. Handbuch. Hrsg. von Cornelia Blasberg und Jochen Grywatsch. Berlin und Boston 2018; Tilmann Köppe und Simone Winko: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart/Weimar 2013; Simone Winko: Bezugnahmen auf die Textwelt. Untersuchungen zu Handlungstypen in der literaturwissenschaftlichen Interpretationspraxis. In: Scientia Poetica 26 (2022), S. 125–166.
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