Für André Jolles ist der Witz wesentlich an eine Sprachfunktion gebunden: Er löst, was im Wortspiel an Doppelsinn gebunden war, in einer Pointe – etwa einem inszenierten komischen Missverständnis – auf. Dadurch wird die semantische Spannung situativ im Moment entbunden und im Gelächter nivelliert: Sobald die Pointe zündet, entlädt sich die sprachlich und gestisch angestaute Energie. Jenseits des Witzes – so die These, die das Seminar entfalten und erforschen soll – existiert jedoch eine komische Form, deren Dynamik nicht mit einem Knalleffekt endet, sondern darüber hinaus weiterschwingt, weil das gesamte Kategoriensystem, auf dem ihr exemplarisches Erzählen basiert, auf die Dauer ins Wanken gebracht wird. Jolles' systemischer Anspruch hat dafür keinen Begriff (am nächsten kommt ihm der Kasus); auch sonst hat sich die germanistische Literaturwissenschaft schwer damit getan, jenes Kategorien erschütternde Sprechen genauer zu fassen. Doch bietet sich dafür ein Konzept an: der Schwank. Seine Reichweite und intellektuelle Amplitude werden wir in Lektüren spätmittelalterlicher Kurzerzählungen in Versen auszumessen versuchen: auf der Grundlage der Neuedition der 'Deutschen Versnovellistik des 13.-15. Jahrhunderts' (hrsg. v. Klaus Ridder und Hans-Joachim Ziegeler, Berlin 2020 ff.), die in jüngster Zeit Anlass zu einer Revision der Schwankexempla gegeben hat.
Judith Klinger, Katharina Philipowski (Hrsg.): Die neuen Texte der Deutschen Versnovellistik, Berlin 2024 (Beiträge zur Kleinepik; 1)
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