Politische Parteien gelten in der Politikwissenschaft als essentiell für das Funktionieren repräsentativer Demokratien. Sie sollen zahlreiche Aufgaben erfüllen wie die politische Integration, Rekrutierung von Führungspersonal sowie die Politikentwicklung und Legitimation von Entscheidungen. Nach dem bundesdeutschen Grundgesetz sollen sie an der demokratischen Willensbildung des Staatsvolkes mitwirken und müssen deshalb auch intern demokratischen Grundsätzen genügen.
In dieser zentralen Rolle sehen sich politische Parteien in Deutschland und Europa allerdings mit zunehmend veränderten Ausgangsbedingungen und wachsenden Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören der allgemeine Mitgliederschwund, die sinkende Bindungskraft und anhaltend niedrige Vertrauenswerte in der Bevölkerung. Partizipationsansprüche und –verhalten breiter Bevölkerungsschichten decken sich immer weniger mit dem klassischen langfristigen Engagement in Parteien. Hinzu kommen Entwicklungen wie die Digitalisierung sowie die Fragmentierung von Parteiensystemen, die die Funktionsweisen der politischen Kommunikation und des Parteienwettbewerbs verändern.
Diese Trends stellen politische Parteien unter Anpassungsdruck. Vor diesem Hintergrund widmet sich das Seminar dem politischen und wissenschaftlichen Diskurs um demokratische Innovationen innerhalb und außerhalb von Parteien. Solche demokratiepolitischen Reformmodelle zielen i.d.R. darauf ab, neue Partizipations- und Kommunikationsmöglichkeiten zu schaffen, die in unterschiedlicher Weise die bestehenden Verfahren repräsentativer Demokratie ergänzen oder verändern können. Zu den hier zu betrachtenden Formaten gehören unter anderem losbasierte Beratungsformate, Plebiszite bzw. Mitgliederentscheide und digitale Beteiligungsplattformen.
Das Seminar fragt, ob und wie sich unterschiedliche politische Parteien neue Formate der Teilhabe, Kommunikation und Entscheidungsfindung zu Nutze machen, um sich an die neuen Handlungsbedingungen anzupassen. Wie positionieren sich unterschiedliche Parteien zu demokratischen Innovationen im repräsentativen System wie z.B. zu Bürgerräten? Wie verändern solche Formate die bestehenden parteipolitischen Wettbewerbsstrategien? Wie passen Parteien ihre innerparteiliche Willensbildung und Entscheidungsprozesse an und welche Unterschiede gibt es diesbezüglich zwischen verschiedenen Parteitypen? Wie effektiv sind solche innerparteilichen Reformen in Hinblick auf parteipolitische Integration und andere bestehende Herausforderungen? Welche Formate können Parteien darin bestärken langfristige Zukunftsfragen erfolgreich zu bearbeiten?
Das Seminar zielt insgesamt darauf ab, demokratie- und parteientheoretische Debatten mit empirischen Analysen von Problemlagen und Innovationen in und durch Parteien in Deutschland und Europa zu verbinden. Die Teilnehmer_innen setzen sich kritisch mit den einschlägigen wissenschaftlichen Debatten auseinander, erlangen einen vertieften strukturierten Überblick über die Forschungsliteratur und entwickeln auf dieser Basis eigene Forschungsfragen sowie Kompetenzen in der theoriegeleiteten Analyse empirischer Fälle.
Die Veranstaltung wurde 3 mal im Vorlesungsverzeichnis WiSe 2024/25 gefunden: