Kommentar |
Teamteaching
„Pöbel-Bauern wollen Habeck-Fähre stürmen“ (RTL, 5. Januar 2024): An diesen und ähnlichen Schlagzeilen zeigte sich unlängst erneut die politische Aktualität der Pöbel-Semantik. Die Langlebigkeit der Rede vom Pöbel ist bemerkenswert: Ihre Wurzeln reichen bis in die Antike, besondere Prominenz erlangte sie im europäischen Gelehrtendiskurs der Frühen Neuzeit. So lassen sich weite Teile der Berichterstattung über Bauernproteste ebenso wie der anhaltenden Feuilleton-Debatten über den (digitalen) Populismus auch als „Wiedergänger“ jener frühneuzeitlichen Pöbel-Polemiken verstehen (Roman Widder, „Vom Pöbel zum Populismus“, Merkur 859 [2020]).
In der französischen Philosophie und Literatur des frühen 17. Jahrhunderts, die im Mittelpunkt des Seminars stehen wird, stellte der Pöbel-Begriff (populace) sowohl eine moralische als auch soziale und politische Kategorie dar. Dem so bezeichneten ‚einfachen‘ Volk (menu peuple) wurde eine lange Liste von moralischen Verfehlungen angelastet, denen nach Bedarf immer auch eine politische Wendung gegeben werden konnte: inconstance konnte fehlende Loyalität gegenüber den Herrschenden bezeichnen, crédulité ein allzu offenes Ohr für öffentliche Regierungskritik, médisance das Verbreiten von ‚aufwieglerischen‘ Gerüchten über skandalöse Vorgänge zu Hof. In den Augen der gebildeten Zeitgenossen drohte die unheilvoll brodelnde Volksmasse ständig in handfesten Aufruhr auszubrechen. Die an Machiavelli Geschulten konnten dieses charakteristische Schwanken der frühneuzeitlichen multitudo „zwischen Latenz und Eklatanz“ (Sawilla/Behnstedt-Renn) jedoch auch als eine politische Handlungschance begreifen. Ihre Überlegungen zum machtstrategischen Nutzen einer pamphletistisch aufgewiegelten populace lesen sich in Teilen wie das kommunikationspolitische Handbuch eines Trump oder Bolsonaro.
Das Seminar setzt einen Fokus auf die machttheoretischen Dimensionen des Pöbel-Begriffs, besonders in Texten von Niccolò Machiavelli, Pierre Charron und Gabriel Naudé. Darüber hinaus soll auch die Rolle der Pöbel-Polemik in der politischen Pamphletistik der 1610/20er Jahre und zu Zeiten der Fronde (1648-1653) in den Blick genommen werden. Als zwei konstitutive Elemente des populace-Diskurses bilden die Erfahrung der Religionskriege (1562-1598) sowie medizinische (humoralpathologische) Begründungen sozialer und politischer Ungleichheit weitere Schwerpunkte des Seminars. Da die behandelten Texte nur teilweise in Übersetzung vorliegen, werden gute Französischkenntnisse vorausgesetzt.
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