Noch bis ins 18. Jahrhundert orientieren sich die gängigen Annahmen über die Geschichte der Erde in Europa zumeist an der biblischen Schöpfungsgeschichte – erst allmählich setzt sich die Annahme einer erdgeschichtlichen Tiefenzeit durch, die die Vorstellung von „Welten vor Adam“ (so der Wissenschaftshistoriker Martin Rudwick) unumgänglich macht. Die Imagination der geologischen Tiefenzeit wird damit auch zu einer Aufgabe der Literatur, der sich vor allem die Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts annimmt. Zugleich ist die geologische Imagination auch für ein neues; stratigraphisches‘ Verständnis von Geschichtlichkeit als übereinander gelagerte ‚Zeitschichten‘ verantwortlich, die, teils in metaphorischer Übertragung auf unterschiedlichste ‚Tiefendimensionen‘, für die gesamte moderne Kulturtheorie der Moderne von entscheidender Bedeutung ist
In jüngerer Zeit gesellt sich zu dieser Verbindung von Literatur und Geologie verstärkt eine außereuropäische Perspektive, die die geologischen Imaginarien der Literatur in einen Zusammenhang von Extraktivismus und kolonialer Gewalt stellt und die im Zeichen der aktuellen Diskussionen um das Anthropozän die Handlungsmacht geologischer Prozesse jenseits eines anthropozentrischen Verständnisses von Kultur untersucht – auch in diesem Wandel der Wahrnehmung spielen literarische Texte, wie z.B. zeitgenössische Lyrik, eine bedeutsame Rolle.
Mit den beiden historischen Schwerpunkten auf das 19. Jh. sowie die Gegenwart wird das Seminar vor allem französisch- und spanischsprachige Texte aus Europa und Lateinamerika behandeln – Lektürekenntnisse zumindest einer der beiden Sprachen sind für die Teilnahme von Vorteil, aber nicht Voraussetzung. |