Kommentar |
Theorien der Bildung, die Erfahrungen der Krise, Brüche oder negative Erfahrungen als Anlässe für Bildungsprozesse auffassen, sind im erziehungswissenschaftlichen Diskurs enorm verbreitet. Sie gehen davon aus, dass Menschen durch eine tiefgründige, von ihnen erfahrene Krise dazu aufgefordert werden, ihre bisher etablierten Selbst- und Weltverhältnisse grundlegend und aktiv zu hinterfragen und zu verändern. Krisen, Brüche oder negative Erfahrungen stellen damit den Anlass sowie eine unhintergehbare Bedingung von Bildung dar. Ohne Krise also keine Bildung, ließe sich entsprechend festhalten.
In diesem Seminar wollen wir uns der Frage widmen, ob Bildung lediglich als aktiver Prozess der Auseinandersetzung mit sich selbst verstanden werden kann. Wir wollen entsprechend danach fragen, ob nicht auch Momente der Passivität, des Erleidens, der Verkörperung und der Vulnerabilität für Veränderungen der Selbst- und Weltverhältnisse von Menschen bedeutsam sind. Ebenfalls wollen wir danach fragen, ob Bildung zwangsläufig als krisenhafter Prozess verstanden werden muss. Wir wollen dabei herausfinden, ob nicht auch Wiederholungen, alltägliche Routinen und habitualisierte Gewohnheiten die Möglichkeit einer bildenden Veränderung der Selbst- und Weltverhältnisse beinhalten. Mitgängig wollen wir dabei stets auch Implikationen dieser Überlegungen für die pädagogische Praxis diskutieren.
Ziel des Seminars ist es 1) einen Überblick über an Krisen orientierten bildungstheoretischen Ansätzen zu erhalten, diese hinterfragen und kritisieren zu können, 2) daran anschließend aktuelle Perspektiven kennenzulernen, die nach der Möglichkeit von Bildung jenseits von Krisen fragen und 3) Überlegungen zur Rehabilitation lebensweltlicher, verkörperter, passiver und gewohnheitsmäßiger Erfahrungen in ihrer pädagogischen und bildenden Bedeutung nachvollziehen und begründen zu können. |