Gruppe 1: Rücktritt! Amtsverzicht im frühen und hohen Mittelalter
Wir erleben es immer wieder: Königinnen, Premiers, Ministerinnen und Bundesligatrainer scheiden vorzeitig aus dem Amt – mal unter Druck, mal aus ganz freien Stücken. Was bleibt, ist der Eindruck, dass Amt und Person zwar eigenartig miteinander verbunden sind, sich aber dann plötzlich, unerwartet und mit Auswirkungen auf das soziale Umfeld voneinander trennen lassen.
Die Menschen im frühen und hohen Mittelalter machten ganz ähnliche Erfahrungen. Ob Könige, Bischöfe oder Äbte – auch damals verzichteten Menschen auf ihr Amt. Das warf Fragen auf: Darf man das? Welche Gründe mag es dafür geben? Wie gehen die Umstehenden damit um? Und – was ist eigentlich ein Amt?
Das Seminar möchte diese irritierenden Momente untersuchen und darüber in den Blick bekommen, was Öffentlichkeit, Ämter, Verantwortung oder Recht im frühen Mittelalter eigentlich bedeuten konnten. Voraussetzung zum erfolgreichen Absolvieren des Seminars sind die regelmäßige Anwesenheit, die vorbereitende Lektüre von Quellen und Literatur und die Beteiligung an Gruppenaufgaben. Das Seminar wird in angeleiteten Schritten während des Semesters auf die Hausarbeit vorbereiten.
Gruppe 2: Arbeiten im Frühmittelalter
Vorstellungen vom unbegrenzten Wirtschaftswachstum oder von der Möglichkeit des Einzelnen, alles erreichen zu können (Vorstellungen der klassischen Moderne) verlieren in Zeiten sozialer Ungleichheit, prekärer Arbeitsverhältnisse und beständig knapper werdender Ressourcen zunehmend an Plausibilität. Der Blick ins Frühe Mittelalter soll dafür sensibilisieren, dass stets unterschiedliche Formen des Arbeiten und Wirtschaftens nebeneinander bestehen, mithin keine Praktik des Wirtschaftens alternativlos ist.
Im Seminar diskutieren wir, die Klosterwirtschaft, die sogenannte Grundherrschaft und die Arbeit von Sklavinnen und Sklaven, die jeweils für einige zu großem Reichtum führen konnten, zugleich aber vielfältige Abhängigkeiten schufen. An ausgewählten Quellen (Urkunden, Chroniken, Gesetzestexten, Bildquellen) werden verschiedene Formen des Bezahlens, der Zusammenhang von Arbeit und Sozialem sowie die Frage biblischer und gelehrter Vorbilder und gelebter Praxis diskutiert.
Das Thema „Grundherrschaft“ ist Bestandteil der Berliner und Brandenburger Lehrpläne, neuere Perspektiven der Forschung spiegeln sich in den aktuellen Schulbüchern bislang jedoch kaum. Fragen der Vermittlung sollen in diesem Seminar daher ebenfalls diskutiert werden.
Semesterbegleitend werden in schreibpraktischen Übungen Kompetenzen wissenschaftlichen Arbeitens – Argumentieren, Konzipieren, Fragestellungen entwerfen – vertieft. Die Abgabe von schreibpraktischen und lektürebegleitenden Aufgaben ist die Voraussetzung dafür, am Ende des Semester eine Bescheinigung über die erfolgreiche Teilnahme zu erhalten.
Gruppe 3: Beten im Spätmittelalter
Was ist Gebet und was bedeutet es zu beten? Diese scheinbar einfache Frage kann eine Vielzahl von Antworten hervorrufen. Selbst in historischen spätmittelalterlichen europäischen Gesellschaften wären die Antworten überraschend divers gewesen. Das Gebet war keine universelle, sondern eine äußerst facettenreiche Erfahrung, die zu einer Vielzahl von Praktiken führte. Daher ist das Gebet als soziale Praxis und als „totales, soziales Phänomen“ (Breitenstein und Schmidt 2019, basierend auf Mauss) ein faszinierendes und vielschichtiges Thema, das Einblicke in die tief verwurzelten sozialen, kulturellen und religiösen Strukturen einer Gesellschaft bietet.
Das Proseminar untersucht die vielfältigen Formen und Funktionen des Gebets im Spätmittelalter, die deutlich über rein spirituelle Bedürfnisse hinausgingen. Wir werden die verschiedenen Rollen betrachten, die das Gebet in sozialen, politischen, und kulturellen Kontexten spielte und wie es als Mittel der Kommunikation, Integration, und Identitätsbildung fungierte – sei es in Familien, in religiösen Gemeinschaften und Kirchen, im häuslichen Umfeld oder in politischen und militärischen Kontexten, wo es soziale Bindungen förderte und kollektive Identitäten formte. Dabei betrachten wir auch die verschiedenen Medien und Artefakte von Texten und Büchern bis hin zu Bildern und religiösen Symbolen, wie sie das Gebet unterstützten, beeinflussten und verstärkten, indem sie zwischen Diesseits und Jenseits vermittelten (sofern dieser Unterschied tatsächlich relevant war). Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den geschlechtsspezifischen Aspekten des Gebets und wie Gebetserfahrungen und -praktiken durch geschlechtsspezifische Normen und Erwartungen geprägt wurden.
Gruppe 4: Männer Gottes oder der Welt? Bischöfe im 12. Jahrhundert
Die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier nahmen im mittelalterlichen Reich als geistliche Hirten und weltliche Herrscher sowie als wichtige Akteure bei Wahl und Krönung der römisch-deutschen Könige eine zentrale Stellung ein.
Im Proseminar werden anhand ausgewählter Persönlichkeiten des 12. Jahrhunderts wie Albero von Trier, Rainald von Köln und Arnold von Mainz diese Themenbereiche untersucht.
Ebenfalls in den Blick genommen werden auf Grundlage von urkundlichen, historiographischen und hagiographischen Quellen Fragen der hochmittelalterlichen Heiligenverehrung, des Bezugs der Bischöfe zu unterschiedlichen monastischen Orden und der Verwaltung.
Das Proseminar dient weitgehend themenunabhängig der Vermittlung grundlegender Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich der mittelalterlichen Geschichte.
Gruppe 5: Glockenklang und Höllensound - Klangwelten des Mittelalters
Das Proseminar ist eine Hinführung zum weiteren Studium der mittelalterlichen Geschichte. Im Vordergrund steht in diesem Semester die vertiefte Quellenkritik unter Rückgriff auf die Historischen Grundwissenschaften, über die ein erster Überblick gegeben wird. Anhand ausgewählter Beispiele aus für die Mediävistik zentralen Themenkreisen wie etwa der Stadt-, der Wirtschafts- und vor allem der Sozialgeschichte, und hier im Besonderen von Klängen, ihrem Ursprung, Ihrer Bedeutung(saufladung) und ihrem Analysepotential, werden grundlegende Arbeitstechniken erprobt und einstudiert sowie curriculare Leistungen erbracht. In der ersten Sitzung werden die für alle verbindlichen „Spielregeln“ festgelegt und um die Vorschläge der Studierenden ergänzt. Die Veranstaltung ersetzt nicht den Besuch von Epochenüberblicksveranstaltungen (Vorlesungen). Das Erlernen und Einüben grundlegender Arbeitstechniken und die Ausbildung eines Methodenbewusstseins legen den Grundstein für ein erfolgreiches Studium, das gilt auch für eines der Geschichte. Um den Anforderungen an das Studium der jeweiligen Teildisziplinen (wie etwa der epochal und meistens auf Europa ausgerichteten Mittelalterlichen Geschichte) gerecht zu werden, verknüpfen die Proseminare eine propädeutische Einführung mit ersten thematischen Zugriffen. Die Frage danach, wie wir überhaupt dem Klang als einem Ereignis, das so flüchtig ist, dass es keine unmittelbaren Spuren hinterlässt, nachspüren können, was wiederum das Berichten über Klänge für die Konstitution von Gemeinschaften bedeuten kann, berührt gleich mehrere Aspekte mittelalterlicher Studien. Die Betrachtung der jeweiligen (auch intendierten) Interaktionen, die hinter dem Klang stehen, ermöglicht zugleich die Fokussierung auf Kulminationspunkte historischen Arbeitens und Analysierens. Mitunter kamen im sogenannten Mittelalter soziale Konstellationen und Institutionen zu Ausformungen, die lange – teils bis heute – andauerten und an denen sich Strukturen nachvollziehen lassen (hier zum Beispiel: das Glockenläuten). Diese werden, bei allen Gemeinsamkeiten heute dennoch mitunter als rückständig, unaufgeklärt, unmodern wahrgenommen – mit drastischen Folgen für unser Geschichtsbild.
Anhand ausgewählter Beispiele sollen die curricularen Aufgaben der Proseminare erarbeitet und somit Grundlagen für Quellendiskussionen geschaffen werden. Vorgesehen ist zusätzlich ein halb- oder ganztägiger Ausflug an einem noch festzulegenden Termin. Sollte dies in Präsenz nicht möglich sein, gibt’s einen Online-Ausflug.
Vorausgesetzt werden das Interesse an Kernfragen der mittelalterlichen Geschichte und/oder die Bereitschaft sich fleißig einzuarbeiten sowie die Bereitschaft zur regelmäßigen Teilnahme.
Auf Wunsch der Studierenden wird die Veranstaltung (wie das Geschichtsstudium im Allgemeinen) mit einer Trigger-Warnung versehen: die Lektüre von Quellen erschüttert mitunter Weltbilder und fordert Denkmuster heraus. Sie offenbart und erfordert die Auseinandersetzung unter anderem mit menschlichen Abgründen, Gewalt, Zwang, Ungleichheiten, Politik, Religion. So entstehen aber zugleich komplexe Weltbilder.
Gruppe 6: Das Staunen der Welt. Kaiser Friedrich II. (1194-1250)
Friedrich II. gehört zu den auch heute noch bekannten Herrschern des Mittelalters. Als König von Sizilien und römisch-deutscher Kaiser faszinierte er Zeitgenossen und Nachwelt. Im Mittelpunkt des Kurses stehen neben den Herrschaftspraktiken des Staufers nicht zuletzt seine Rolle als Akteur zwischen dem Mittelmeerraum und dem Reich nördlich der Alpen, beispielsweise seine Teilnahme am Kreuzzug, der Konflikt mit dem Papsttum oder sein Interesse an den Wissenschaften. Das Proseminar dient weitgehend themenunabhängig der Vermittlung grundlegender Kenntnisse und Fertigkeiten im Bereich der mittelalterlichen Geschichte
Gruppe 7: Bis an die Enden der Welt: Lateinische und arabische Reiseberichte des Mittelalters
Dieses Seminar bietet eine Einführung in die transkulturelle Geschichte des Mittelalters anhand einer spezifischen Quellengattung: des Reiseberichts. Dabei sollen verschiedene Zeugnisse der grenzüberschreitenden Mobilität aus unterschiedlichen Jahrhunderten und Weltregionen quellenkritisch in den Blick genommen und auf wiederkehrende Muster hin befragt werden: Wie beschrieben die Autoren das Fremde und Unbekannte und wie charakterisierten sie im Lichte dessen ihre eigene Identität? Was bedeutete es für einen Reisenden, ans 'Ende' seiner Welt zu gehen, und wie wurden solche geographischen, kulturellen und religiösen Grenzüberschreitungen dem heimischen Publikum gegenüber präsentiert, gerechtfertigt und ausgedeutet?
Im Laufe des Semesters sollen verschiedene Quellen aus der christlich-lateineuropäischen und islamisch-arabischen Welt behandelt werden, die solche und ähnliche Fragen anschaulich verhandeln. Ziel ist ein vertieftes Verständnis für die Vielfalt und Verflochtenheit der Welt-, Selbst- und Fremdwahrnehmungen innerhalb und außerhalb der Grenzen des mittelalterlichen Europas.
Im Zuge dessen sollen zentrale Methoden des geschichtswissenschaftlichen Arbeitens eingeübt werden. Alle Quellen werden in Übersetzung gelesen, Arabisch- oder Lateinkenntnisse sind nicht erforderlich.
Gruppe 8: Rom nach Rom: Die Stadt am Ende der Antike und am Beginn des Mittelalters
Rom war einmal das Zentrum der Welt gewesen. In der Spätantike hatte sich das gründlich gewandelt. Am Bosporus lag nun der maßgebliche Kaisersitz, und nicht einmal mehr innerhalb Italiens war Rom das unbestrittene Machtzentrum. Andererseits erlangten die Bischöfe der Stadt als „Päpste“ der lateinischen Christenheit eine ganz neue Geltung; die Stadt zog außerdem Migranten aus anderen Teilen der Welt an und blieb wirtschaftlich und kulturell mit dem Mittelmeerraum verbunden.
Im Seminar wollen wir den Übergang von der Antike zum Mittelalter aus der Perspektive einer Stadt erforschen. Dabei werden religiöse und transkulturelle Fragen im Mittelpunkt stehen, die wir mithilfe von Quellen und Literatur erarbeiten wollen. Voraussetzung zum erfolgreichen Absolvieren des Seminars sind die regelmäßige Anwesenheit, die vorbereitende Lektüre von Quellen und Literatur und die Beteiligung an Gruppenaufgaben. Das Seminar wird in angeleiteten Schritten während des Semesters auf die Hausarbeit vorbereiten.
Gruppe 9: Draculas Welt: Südosteuropa zur Zeit der Türkenkriege
„Dracula“ gab es wirklich! Vlad III. Ţepeş („der Pfähler“), auch Drăculea genannt (wohl aufgrund der Mitgliedschaft im Drachenorden Kaiser Sigismunds), war als Fürst der Walachei (mit Unterbrechungen 1448, 1456-62 und 1476) ein regional bedeutender Herrscher und wichtiger Akteur im christlichen Abwehrkampf gegen die auf dem Balkan vorrückenden Türken. Ihm gelangen 1461/62 einige spektakuläre Erfolge gegen den militärisch übermächtigen türkischen Sultan Mehmet II., den Eroberer Konstantinopels. Der ungarische König Matthias Corvinus, an dessen Hof sich Vlad geflüchtet hatte, ließ ihn aus politischem Kalkül fallen. Der ohnehin durch besondere Grausamkeit gegen Feinde und illoyale Untertanen profilierte Fürst erhielt in der humanistischen Hofhistoriographie des Corvinen seinen Ruf als diabolischer Schlächter, der in den folgenden Jahrzehnten phantastisch ausgeschmückt und ins Ungeheuerliche gesteigert wurde, bevor er schließlich die Grundlage der literarischen Vereinnahmung durch Bram Stoker (1897) bildete.
Im Proseminar bietet die durch ausgezeichnete Quelleneditionen und eine inzwischen sehr dichte Literatur gut erschlossene Lebensgeschichte des Vlad Ţepeş einen ausgezeichneten Zugang zu spätmittelalterlichen Lebenswelten und vielfältigen Problemfeldern dieser Zeit, darunter die Machtverhältnisse auf dem Balkan, Türkenbild und Türkenfurcht, (venezianische) Diplomatie, höfischer Humanismus, Gewaltökonomie und vieles mehr. Eine gute Gelegenheit, durch ein eigenes quellennahes Forschungsprojekt erste Erfahrungen in der mittelalterlichen Geschichte zu sammeln. |